Introduktive Frage: Wer ist oder wer sind SKIN DIARY? Nach einigen Klicks im worldwide Web stellt sich heraus: Es handelt sich um eine deutsche Band, die aus einer Sängerin und drei Instrumentalisten besteht. Jessica Jekyll (ob sie wohl Horrorfilme mag?), Pierpaolo de Luca, Rene Flächsenhaar und Puya Shoary heissen die Musiker und produziert hat Markus Reuter.
11 Stücke gibt es (46:35). Den ersten Song taktet Schlagzeuger Puya Shoary auf einer Cowbell(?) an - dann übernimmt ein Rock-Riff die Führung, wird umrahmt von einem (mit den Fingern der rechten Hand rasend schnell gezupften) Basslauf. „Too Late“ entpuppt sich als grooviger Pop-Rocker. Die Dame flüstert, hat den Growl in der Stimme (und setzt diesen auch passend an der richtigen Stelle ein), gurrt - singt einfach gut. Die Musik hört sich zwischendurch an wie eine Mixtur aus „The Fixx“ ((80er Band), „David Bowie“ und den „Sugercubes“ (genau, die isländische Gruppe mit Björk – auch 80er). Am Ende trifft sich alles dramaturgisch fein zum kurzen Crescendo.
Nummer 2: Sängerin Jessica Jekyll überrascht weiterhin, steigt jetzt voll in die Björk-Schiene ein, begeistert mit „slits-igen“ (*) Vocal-Riffs, miaut und liefert eine erstklassige Vocal Performance ab. Am Ende wird es pop-proggig, Scat-Gesang und Gitarren- und Bass-Riffs duellieren sich rasant um die Wette und lassen mich erst einmal kopfschüttelnd und fast atemlos zurück. Ich muss jetzt erst einmal „googeln“ (weil Bertram ** das dazugehörige Infoblatt wohl wieder irgendwo abgeheftet hat) – wo kommt die Band her? Berlin. Eine deutsche Band. Und die Musik klingt richtig frisch, als ob ich mir gerade mehrere Freunde vom “Fisherman” eingeworfen habe.
Auch Track 3 beginnt intensiv, wird progressiv & ist unglaublich. Haut mich vom Redaktionshocker! „American Caste“ klingt nach Peppers (die roten, heissen Schoten, genau!), Kravitz und Cure gleichzeitig. Ein bisschen Alanis (Morrissette) blitzt auch durch. Zwischendurch gibt es plötzlich indische Perkussion (Tablas?). Auch der vierte Song („One Of A Kind“) rockt gut mit starkem Gitarrenspiel! (Aber eigentlich ist es unfair, einen der Musiker hervorzuheben!) „Coup De Grace“ beginnt relaxt funky, der Bassist lässt ein paar „Flageoletts“ erklingen, Jessica singt sanft, die Nummer nimmt Fahrt auf – der Hörer steckt zwischendurch plötzlich in einem Heavy-Crossover-Riff und wie vielseitig die Band spielt, zeigen plötzlich psychedelisch-verhallte Dub-Effekte, wie man sie früher auf den 80er Platten von „The Police“ oder von „Fischer Z“ gehört hat.
Habe ich gerade etwas von Vielseitigkeit erzählt? „Brother In My Belly“ startet unwirklich country-poppig, um dann in einen thrashigen Groove-Metaller mit screamigen Vocals abzudriften. Pierpaolo spielt einen Gitarrensolo über einen Bolero-ähnlichen Rhythmus (ähnliches habe ich in den 70ern von der kanadischen Rockband „Rush“ gehört) und erreicht dabei die qualitative Klasse eines „Al di Meola“. „Busy Body“ startet disco-funky, Jessica singt „new-wavig“, schreit im Refrain, 125 beets in der Minute garantieren Tauglichkeit für den (etwas härteren) Tanztee (es soll auch Biker geben, die Kräutertee aus gewissen Pflanzen trinken!). Es folgt „Heart Of Glass“, ein Song, den Blondie in den 80er wavig-poppig gespielt haben. Hier gibt es ihn in einer neuen elektrorock-poppigen Hammer-Edition. Das dynamische Finale bekommt einen dicken Extrapunkt!
Punk gibt’s auch: „Poppy-Seed Oake“ – dröhnt herrlich und würde auch neben den Schlagern der Ramones nicht blass aussehen. „Shameless Mrs. Amos“ ist wieder schamlos red-hot-chilly-funky und das finale “Cocooning” ist einfach – wenn man die ersten Stücke der CD gehört hat – wieder ungewöhnlich. Die Sonne scheint aus den Lautsprechern und Jessica wippt relaxt zum „Sexy Rumba meets Beach Boys Bubblegum Meets Elvis-Fever” Rhythmus und zwitschert dabei zärtlich wie ein Kanarienvogel - am Ende schickt Gitarrist Piearpaolo einen schönen spacigen Rockabilly-Solo durch den Äther. „It’s Oh So Simple – It’s Oh So True“ – lauten die letzten Textzeilen der Scheibe. „Ach, wenn es doch immer so einfach & so schön wäre!“ sind meine letzten Gedanken.
SKIN DIARY schreiben ihre Musik selbst. Alle Songs (bis auf den Blondie-Song) sind Eigenkompositionen. Texte sind komplett abgebildet im 8seitigen Minibooklet. Und – eigentlich wollte ich gar nicht so viel schreiben über die CD – aber es gibt Musik, die sich fast wie von selbst rezensiert. Untertitel: Wenn ein Redakteur beginnt, zu sprudeln. Traurige Nachricht: Airplay wird es wahrscheinlich kaum geben in den immer mehr zu Hausfrauensendern verkommenden Radiosendern, die meistens aus Bequemlichkeit lieber die selbigen Uraltkalauer spielen, anstatt die Zuhörerschaft einmal aus der Lethargie zu reissen. Mein Aufruf an Musikfans, die interessiert sind an neuer, innovativer Pop Musik: Geht in die Konzerte der Band, kauft die CDs und (wichtig) erzählt es weiter, wie geil das Quartett ist, damit es der Gruppe nicht geht wie anderen Geheimtipps, die Jahrzehnte später plötzlich Kultstatus erlangten („Babe Ruth“, „Quantumjump“, „Bloodrock“ und und .....), nachdem es sie längst nicht mehr gab!
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